In unseren Erinnerungen aus der Kindheit war der Sonntag ein ganz besonderer Tag in der Woche. An diesem Tag war alles anders. Keine Arbeit, dafür Kirchgang. Ein ganz besonderes Essen, das es nur an Sonn- und Feiertagen gab. Alle waren schick angezogen, oft gab es Besuch. An diesem Tag war alles anders, schöner, entspannter und irgendwie auch heller.
Wir wurden auch als Kinder mit einbezogen in die Vorbereitungen auf den Sonntag. So haben wir z.B. regelmäßig den Hof gekehrt und im Haus aufgeräumt, Schuhe und Kleidung für den Kirchgang vorbereitet, beim Kuchenbacken oder Speisenvorbereitung für den Sonntag geholfen. Alle haben sich beteiligt und es entstand neben all den Aufgaben auch eine große Vorfreude auf den Sonntag. Dadurch wurden die Sonntage und Feiertage immer wieder zu äußerlich und innerlich erlebten Höhepunkten im Jahresverlauf.
Die sonntäglichen Begegnungen in der Familie waren auch davon geprägt, dass wir an Sonn- und Feiertagen unsere Eltern anders erlebten. Frei von alltäglichen Sorgen und Aktivitäten entstanden so Räume für andere Gesprächsinhalte und mehr Zeit füreinander. Wir lauschten den Erzählungen der älteren Generationen und anderen Verwandten. Oft wurde über die familiären Verhältnisse gesprochen. Wir erfuhren als Kinder vieles über die Herkunftsfamilien, über die Ahnen, über ihre Art zu leben, über die traurigen, aber auch freudigen Ereignisse. Wir hörten, wie die älteren Generationen mit Widrigkeiten des Lebens mit Gottvertrauen und mithilfe der Gottesmutter und Familienunterstützung gemeistert haben. So wurden die sonntäglichen Begegnungen auch zu einer Erzähl- und Erinnerungsgemeinschaft.
Ich habe zum ersten Mal mit etwa 20 Jahren eine Entscheidung in Bezug auf Sonntag treffen müssen, als im Sportverein die Wettkämpfe vom Samstag auf den Sonntag verschoben wurden. Dies führte dazu, dass ich nicht den sonntäglichen Gottesdienst besuchen und an dem gemeinsamen Mittagessen zu Hause teilnehmen konnte. Ich fühlte wie sich der Charakter des Sonntages für mich veränderte. Ich wollte den Sonntag nicht mit den Vereinsmitgliedern verbringen und die sportliche Leistung in den Vordergrund stellen. Nach einigen Wettkampf-Sonntagen habe ich mich für den Austritt aus dem Verein entschieden. Die Bewahrung des Sonntages, wie ich ihn bis dahin erfahren habe, war mir eindeutig wichtiger.
Als junge Familie mit 3 Kindern stellte sich für uns auch irgendwann die Frage, wie wir den Sonntag gestalten wollen. Da wir beide aus Herkunftsfamilien mit ähnlichen Werten und Traditionen stammen, waren wir uns schnell einig, dass wir an der als wohltuend erlebten Art, den Sonntag zu feiern, festhalten wollen. Und so richteten wir uns bewusst und gezielt auf die Feier der Sonntage als Familie aus.
Wir haben den Sonntag konsequent von Arbeit frei gehalten, besuchten keine verkaufs-offenen Sonntage oder Sportveranstaltungen und unternahmen auch keine Einzelaktivitäten ohne den Ehepartner. Soweit es möglich war, ermunterten wir unsere Kinder die Hausaufgaben auch am Samstag zu erledigen, damit sie den Sonntag als freie Zeit für sich, fürs Spielen oder andere Lieblingsaktivitäten, für Treffen mit Freunden oder mit Verwandten erleben und den Sonntag in vollen Zügen genießen konnten.
Wir haben uns auch als Eltern abgesprochen, dass wir am Sonntag am Mittagstisch keine Probleme wälzen wollen, sondern bewusst Themen und Inhalte in den Fokus nehmen, die Freude in uns auslösen. Es war uns wichtig, dass wir eine schöne Stimmung und familiäre Atmosphäre schaffen wollen und sprachen meist über anstehende Feiern, freudige Ereignisse, gemeinsame Unternehmungen und über das Leben mit Gott. Der Sonntag war zudem der einzige Tag in der Woche, an dem wir in der familiären Gemeinschaft alle gemeinsam essen konnten.
Der Sonntag ist reserviert für „zweckfreie“ Begegnungen. Ein Tag, an dem wir nicht als Arbeitnehmer oder Eltern funktionieren müssen, sondern auch uns selbst persönlich eine Verschnaufpause gönnen, mehr Zeit füreinander als Ehepaar finden und uns mehr Zuwendung schenken. Wir konnten beobachten, wie unsere Kinder sich immer wieder daran erfreuten. Es strahlte auf die Stimmung unserer Kinder aus, sicherlich erzeugte diese Wahrnehmung und die schöne Atmosphäre eine Art Geborgenheit, Gewissheit, Sicherheit in den Herzen unserer Kinder.
Wir beobachten, dass im Hinblick auf das ökonomisch ausgerichtete, derzeitige Bildungssystem das Festhalten an einer Sonntagskultur unverzichtbare Funktion für die Herzensbildung hat. Wenn in den Familien dies nicht gepflegt wird, dann haben die nachfolgenden Generationen kaum noch eine Chance auf ganzheitliche Formung ihrer Persönlichkeiten und der Analphabetismus in Bezug auf das Innenleben des Menschen breitet sich aus. Aus der Sonntagskultur ist in unserer Familiensippschaft eine fruchtbare Kultur des Miteinanders entstanden. Wir erleben heute einen starken Zusammenhalt und immer wieder Freude aneinander. Wir erleben, dass wir uns gegenseitig bei Problemen, gesundheitlichen Sorgen oder anderen Lebensereignissen und Herausforderungen durch Gebet, Mitfühlen, Zuwendung, Aneinander-Denkens gegenseitig tragen und unsere Beziehungen stärken. Wir schaffen somit einen von Liebe und gegenseitiger Schätzung geprägten Lebensraum für die nachfolgenden Generationen, die diesen starken Zusammenhalt als sehr positiv erleben.
Für uns bedeutet die Bewahrung der Sonntagskultur auch ein Leben in Balance. Gerne nutzen wir den sonntäglichen Nachmittag für Spaziergänge in der Natur. Wir gehen gern in den Wald, in dem wir innerlich eine Distanz zum Alltag gewinnen und in dieser Umgebung und im Einklang mit der uns umgebenden Umwelt unseren persönlichen ICH und WIR nachspüren. Diese Umgebung berührt uns innerlich und eröffnet uns Dimensionen, die unser irdisches Dasein und Begrenztheit übersteigen.
Der Sonntag war und ist für uns auch der Tag des Nachkostens und des Vorkostens. Nachkosten im Sinne einer Dankbarkeit für all das, was in den Tagen zuvor gewesen ist. Im Idealfall für all das Gute, dass uns als Einzelnen, aber auch als Ehepaar und unseren Kindern widerfahren ist und was in der kommenden Woche und Zeit ansteht. Aber auch das Betrachten des Misslungenem, des erlittenen Leides und das Erkennen von Gottes Vorsehung dahinter. Das Vorkosten durch die gemeinsame Planung bestimmter Ereignisse und das Anwachsen der Vorfreude daran. Das Nach- und Vorkosten sichert Lebensqualität und sorgt dafür, dass wir den Geschmack an unserem Leben nicht verlieren. Es ist ein Tag der Erinnerung an die wahren und ewigen Schätze in unserem Leben und ein Tag, an dem wir unseren inneren Kompass oder den inneren Navi/GPS für die Alltags- und Lebenswege neu ausrichten.
Sonntag ist deshalb weit mehr als nur ein arbeitsfreier Tag. Für uns ist es ein Tag des Innehaltens, ein Tag, an dem die Seele nachkommen kann. Folgt man den neueren Erkenntnissen aus der Gehirnforschung, wonach bewusste und unbewusste Sinneseindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse dann „gespeichert“ werden und Tiefenwirkung haben, wenn sie mit Emotionen verbunden sind, dann kann man daraus schließen, dass diese Sonntagskultur unsere Lebensart und Haltungen positiv geprägt hat und die es uns ermöglichte, das Leben zu genießen und zu feiern. Wir haben in unserem Leben erfahren, dass die Sonntagskultur unseren Seelen Halt gibt und ein wichtiger Baustein im Fundament des menschlichen Lebens ist. Wir wissen nicht, ob und wie unsere Kinder mal die Sonntagskultur pflegen werden. Wir wünschen aber ihnen, dass sie sich den Sonntag als ein Brunnen und Quelle für echte Lebensfreude und erfüllenden Lebensgenuss bewahren.
Autor: Bruno Kulinsky